Überführungstörn von Teneriffa nach Mallorca

 
Die Crew
Die Crew
Moderne Navigationshilfen
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Malerische Felsen
Malerische Felsen
 
Erstaunliche Begleiter
Erstaunliche Begleiter
 
Malerischer Sonnenuntergang
Malerischer Sonnenuntergang
Auftanken
Auftanken
Wale
Wale

Meer erleben

Einmal erleben, wie es ist, nur noch Wasser um mich herum zu haben, den Blick in allen Richtungen frei bis zum Horizont. Das geht in den Revieren, in denen ich sonst segle, nur bei schlechter Sicht, wenn Dunst oder Nebel die Sicht auf die Kimm, diese Trennlinie zwischen Himmel und Meer, versperren. Einmal etwas anderes tun als das, was Ozeanüberquerer und Blauwassersegler lässig als „Daysailing“ bezeichnen.
Da kam das Angebot der Kanarischen Charterfirma gerade recht: Eine Segeljacht war von Teneriffa nach Mallorca zu überführen. Von Afrika nach Europa. Eine Mannschaft aus vier Seepfadfindern war schnell gefunden: Sabine von den Deutschrittern sowie Bernhard, Erik und ich von den Argonauten. Alles Menschen mit Erfahrung auf See; zwei davon schon vielmals als Schiffsführer gefahren.
Zu Beginn der Osterferien dann mit dem Flugzeug von Deutschland auf die Kanarischen Inseln. Die Strecke, gut doppelt so weit wie die zu segelnde – in vier Stunden durchflogen. Der Rückweg würde länger dauern ... Die Chefin der Bootsbetreiberfirma sagt, man könne – ohne Pause segelnd – bei gutem Wetter in neun Tagen in Palma de Mallorca ankommen. Wir wollen nicht nonstop segeln und gutes Wetter kann niemand garantieren. Da scheinen geplante sechzehn Tage knapp bemessen.

1. Tag: Auslaufen Santa Cruz de Tenerife

Gegen 14:00 Uhr endlich raus aus dem ohrenbetäubenden Hafen, dann um Kap Anaga herum und Kurs auf Madeira (357°). Die See zeigt sich so ruhig und still wie erhofft. Schon bald wird es zu still und der Wind schläft ein. Drei Knoten von achtern reichen nicht aus zum Segeln. Also die Maschine an: Laut und langweilig.
Als ob sie etwas für die Unbill des ausbleibenden Windes könnte, zieht die Fauna alle Register: Zuerst ein paar fliegende Fische. Dann kommen die Delfine. Tümmler. Vielleicht 20. Sie spielen ein paar Minuten in der Bugwelle vorm Schiff und verschwinden so schnell wie sie kamen. Eine halbe Stunde später Pilotwale. Es sind 30 bis 40 in mehreren Gruppen. Anders als die flinken Delfine dümpeln sie gemächlich durchs Wasser. Wir fahren ihnen vorsichtig ein bisschen nach und fragen uns, wer hier wen betrachtet.
In der Crew sprechen wir darüber, dass das gleich am ersten Tag eigentlich alles ist, was es im Meer außer Wasser zu sehen gibt. Schildkröten wären jetzt nicht schlecht. Sie erscheinen prompt eine Stunde später. Massenweise. In einem Feld von mehreren Meilen treibt träge alle paar hundert Meter eine Karettschildkröte begleitet von einem Schwarm kleiner Fische. Die ersten betrachten wir mit Staunen und Interesse. Mit der Zeit werden sie so banal wie Möwen ... Merkwürdig ist die Psychologie des Menschen.

2. Tag: Atlantik, 30°17’N, 016°25’W

Der Atlantik atmet. Wie ein Mensch ohne Unterbrechung. Die Dünung bringt im Acht-Sekunden-Takt drei Meter hohe Wellen, die würdevoll unter dem Schiff durchziehen, egal ob Wind weht oder nicht. Noch nicht daran gewöhnt ist die Mannschaft. Zwei Crewmitglieder hängen den ganzen Tag beharrlich über der Reling bis der Magen nichts mehr hergibt – und dann immer noch weiter. Essen will so richtig keiner. Segeln macht schlank, denke ich. Wie das auf den nächsten Etappen weitergehen soll?

3. Tag: Die Lichter von Madeira am Horizont, 31°50’N, 016°45’W

Um vier Uhr morgens mit Sabine die Morgenwache übernommen. Wir fahren das Schiff in einem Fünf-Wachen-System. Morgenwache von 4 – 8, Vormittagswache von 8 – 14, Nachmittagswache von 14 – 20, Abendwache von 20 – 24, die Hundewache dauert von 24 – 4 Uhr. Je zwei Mann führen und überwachen das Schiff, die anderen beiden dürfen und sollen schlafen. Die ungerade Zahl der Wachen ermöglicht, dass die Wachen täglich wechseln und nicht immer die selbe Mannschaft durch die Hundewache muss. Bis sich der Körper an diesen Rhythmus gewöhnt, dauert es eine Zeit.

4. Tag: Wieder Atlantik; auf dem Weg von Madeira mit Ziel Gibraltar, 33°04’N, 015°37’W

Der Crew geht’s inzwischen prächtig. Erstaunlich die Anpassungsfähigkeit des menschlichen Körpers. Immer noch wird die Nationalflagge im Heck nur vom Fahrtwind bewegt. In Madeira haben wir den 210-Liter-Dieseltank randvoll befüllt und weitere 120 Liter Diesel in Kanistern gebunkert. Nach einiger Zeit stellen wir fest, dass wir ohne Wind bei 2300 Motorumdrehungen pro Minute und acht Knoten Fahrt durchs Wasser damit nicht bis nach Gibraltar kommen. Wir reduzieren die Motorleistung auf 1900 Umdrehungen. Das Schiff wird dadurch einen Knoten langsamer, braucht aber auch deutlich weniger Sprit. Trotzdem beschließen wir nach Studium der Seekarten statt Gibraltar nun Lagos an der Südspitze Portugals anzulaufen. Das sind 60 Seemeilen weniger, was uns 24 Liter Diesel spart.

6. Tag: Immer noch Atlantik, 34°32’N, 011°15’W

Unser Schiff hat eine 60-Ampere-Batterie für den Motoranlasser und eine separate 140-Ampere-Batterie für das Bordnetz. Die Masse an Elektrik und Elektronik auf einer modernen Segeljacht ist überwältigend. Da sind Lampen, Wasserpumpen, Funkgerät und Weltempfänger. Mit dem Radar erkennen wir andere Schiffe eher als wir sie mit dem Auge sehen können. Das Echolot misst die Tiefe, das Log die Fahrt durchs Wasser. Das GPS gibt die Position an und misst die Fahrt über Grund. Der Windmesser zeigt die Windrichtung und die Windgeschwindigkeit. Er ist an das Log gekoppelt und unterscheidet zwischen wahrem und scheinbarem Wind. An einen eigenen Kompass und den Windmesser und an das GPS gekoppelt ist der Autopilot. Bei Bedarf steuert er das Schiff um vorher auf der elektronischen Karte definierte Wegpunkte herum. Die seitliche Abweichung von der gedachten Linie zwischen diesen Eckpunkten beträgt dabei höchstens fünfzig Meter. Wo bleibt da verklärte Seefahrerromantik? Wo bleibt das in zig Piratenfilmen abgedroschene: „He Steuermann! Zwei Strich backbord!“?
Das Archaische bei dieser technisierten Art der Fortbewegung sind die Segel. An einem 15 Meter hohen Mast befestigt nutzen das Großsegel und die Genua die von der Natur kostenlos zur Verfügung gestellte Energie. Mit bis zu neun Knoten Fahrt treiben zwei aus Stoff gefertigte Dreiecke zehn Tonnen Schiff, Gerät und Mannschaft durchs Wasser. Mehr als doppelt so schnell wie der schnellste Mensch schwimmen kann.

7. Tag: Atlantik, auf dem Weg nach Lagos, 36°16’N, 009°31W

Endlich Wind. Mit 10 bis 15 Knoten kommt er schräg von vorne. Das bedeutet Krängung. Mit diesem Wort beschreibt der Seemann lapidar die ständige Schräglage des Schiffes bei dieser Windeinfallrichtung. Deine Welt gerät aus den Fugen. Alles hat 25° Schlagseite: Deine Sitzbank, dein Bett, dein Tisch, deine Klobrille, das Wasser fließt schräg aus dem Hahn. Im Fenster, sonst ein Meter über Wasser, spielt das Seewasser Waschmaschine. Unter Deck, hinter krängungssicher verschlossenen Schranktüren lauern Glasteller darauf, sich, wenn wer die Tür öffnet, in ihren klirrenden Freitod zu stürzen.

9. Tag, Straße von Gibraltar, 36°13’N, 006°13’W

Die Meerenge zwischen Afrika und Europa rühmt sich neben dem Ärmelkanal und der Straße von Malakka eines der drei meistbefahrenen Seegebiete der Welt zu sein. An der engsten Stelle sind es nur 10 Seemeilen zwischen den Kontinenten. In der Mitte das Verkehrstrennungsgebiet: die Autobahn für Seeschiffe, deren Geschwindigkeit viermal so hoch ist wie unsere. Da halten wir uns lieber abseits und umfahren diese Rennstrecke nördlich unter der spanischen Küste. Wir sind zwei Stunden früher in der Durchfahrt als geplant und haben ablaufendes Wasser. Mit der Ebbe ergießt sich das Mittelmeer in den Atlantik. Das Wasser läuft uns mit gut zwei Knoten entgegen und nimmt uns damit ein Drittel der Geschwindigkeit über Grund. Über Funk gerufen, empfiehlt uns die Küstenverkehrszentrale in Tarifa noch weiter nördlich zu fahren. Erfolg: immer noch ein Knoten von vorne. Das ist besser als nichts. Während der Morgenwache kommt endlich die Flut und damit der Strom wie geplant mit zwei Knoten von achtern.

11. Tag: Mittelmeer: Von Gibraltar auf dem Weg nach Osten, Ziel Almería, 36°27’N, 003°34’W

Der Wind hat auf Ost gedreht, kommt nun genau von vorne. Mit ihm die Wellen. An Segeln ist hier nicht zu denken, weil das die Reisezeit verdoppelt. Also mit der Maschine gegenan. Unser Schiff prescht die Wellenberge rauf und knallt dahinter in die Wellentäler. Die Jacht hat einen schnellen und daher flachen Rumpf. Beim Aufschlag auf das Wasser fliegt die Gischt jedes Mal 15 Meter rechts und links auseinander. Wie mit einem kolossalen Vorschlaghammer gehen diese Schläge dem Schiff durch Rumpf und Mast, der Mannschaft durch Mark und Bein.

13. Tag: Mittelmeer, 38°36’N, 000°40’W

Es geht auf das Ende zu. Nur 50 Stunden dauert die Fahrt von Almería nach Palma. Man denkt darüber nach, wie die letzten Vorräte am besten verbraucht werden, geht mit ein paar Eimern Seewasser über das Schiff, damit es am Ende auch anständig aussieht. Dennoch heißt es wachsam bleiben. Auf dieser Strecke nimmt die Dichte der Schifffahrt wieder zu, zwischen Ibiza und Formentera sind ein paar gefährlich flache Felsen zu umfahren.

15. Tag: Balearen, kurz vor der Bucht von Palma de Mallorca, 39°26’N, 002°27’E

Morgenwache, fünf Uhr früh. Sechzehn Knoten Wind genau auf die Nase. Noch neun Seemeilen bis zum Ziel. Das macht die Maschine in anderthalb Stunden. Motor oder Kreuzen? Wir kreuzen. Machen uns auf den beschwerlichen Zickzackkurs unter Segel, wenn der Wind von vorne kommt. Der letzte Sonnenaufgang. Das letzte Mal Segel setzen, reffen und wieder ausreffen. Das letzte Mal überprüfen, ob die Fähren uns ausweichen wie sie sollen. Um 08:05 Uhr anlegen mit dem Heck zum Kai. Wir sind überpünktlich, Crew und Schiff sind wohlauf, außer einem Glasteller ist nichts kaputtgegangen. Nach 1516 Seemeilen Fahrt über Grund – Ende einer Seefahrt.